Protest eines tibetischen Aktivisten vor dem Pariser Triumphbogen: "Diktator Xi Jinping, deine Zeit ist abgelaufen."
AP/Michel Euler

Paris, Belgrad, Budapest: Die Destinationen von Xi Jinpings Europareise sind genauestens gewählt. Ziel ist es offensichtlich, einzelne europäische Partner zu umgarnen, um damit die EU-Einheit aufzubrechen. In Ungarn will sich Xi Mitte der Woche mit einem E-Auto-Montagewerk für die prochinesischen Positionen von Ministerpräsident Viktor Orbán erkenntlich zeigen. Zuvor wird er in Serbien sein strategisches Seidenstraßenprojekt vorantreiben.

Und zum Auftakt in Frankreich? Präsident Emmanuel Macron erhält die Ehre sicherlich auch, weil er im Unterschied zu Berlin einen kritischen, ja eigenständigen Kurs gegenüber den USA fährt. Das zeigt sich in dem etwas gesucht wirkenden Anlass für Xis zweitägigen Staatsbesuch – dem 60. Jahrestag der Aufnahme diplomatischer Beziehungen. Für Charles de Gaulle war es 1964 darum gegangen, im Vietnamkrieg eine "Äquidistanz" zu Washington und zu den kommunistischen Regimen zu wahren.

Video: Chinas Präsident Xi beginnt Staatsbesuch in Frankreich.
AFP

Affront gegen Peking

Allerdings ist Macron selbstbewusst genug, um dem großen Reich der Mitte zugleich Paroli bieten zu wollen. Letzte Woche empfing er den Präsidenten der tibetischen Exilregierung, Penpa Tsering, was in Peking als Affront empfunden wurde. Vor allem aber will Macron gegenüber Xi erneut darauf drängen, dass sich China im Ukrainekrieg wie versprochen neutral verhält und sich nicht auf die Seite Russlands schlägt. Im Handelskonflikt fordert der Franzose protektionistische EU-Strafzölle für chinesische E-Autos und Importhürden für Solaranlagen made in China.

Macron tritt diesbezüglich härter auf als der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz Mitte April in Peking. Der tiefere Grund ist, dass die französische Exportwirtschaft weniger zu befürchten hat als die deutsche, falls China seinen Binnenmarkt abschotten würde. Peking hat zwar im Jänner mit Schikanen für Cognacmarken wie Rémy Martin gedroht. Das fällt aber viel weniger ins Gewicht als allfällige Maßnahmen gegen deutsche Produkte wie Volkswagen oder Mercedes.

Abendessen mit Scholz

All dies macht die französisch-chinesische Gleichung so komplex: Geopolitisch verhält sich Macron gegenüber China bedeutend kulanter als Scholz; handelspolitisch scheut er die Konfrontation mit Xi aber nicht. Der deutsche Kanzler lehnte ein französisches Angebot, der Xi-Visite in Frankreich beizuwohnen, dem Vernehmen nach ab. Um ihre "europäischen" Positionen abzusprechen, trafen sich die beiden europäischen Leader am Donnerstag immerhin zu einem Abendessen. In Paris wird am Montag EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen dabei sein. Sie vertritt gegenüber Peking ähnliche handelspolitische Positionen wie Macron.

Am Dienstag besuchen dann Macron und Xi beim "privaten Teil" der Staatsvisite allein die Pyrenäen und den mythischen Tour-de-France-Pass Le Tourmalet. Lockere Stimmung und entspanntes Scherzen werden den Fototermin vor imposanter Bergkulisse prägen. Sie können allerdings nicht vergessen machen, dass die Chinesen hinter den Kulissen einen eigentlichen Agentenkrieg gegen Frankreich und andere Westländer führen – und die Souveränität des Gastgeberlandes dabei massiv verletzen. Jüngst gleich dreifach:

· Französische Politiker haben Meldungen des FBI bestätigt, wonach sie neben anderen Ziel einer Cyberattacke durch die chinesische Hackergruppe APT31 geworden sind.

· Der französische Geheimdienst warnt Matrosen und Ingenieure in Brest – wo unter anderem Atom-U-Boote stationiert sind – vor Ehen mit Chinesinnen: Diese in der Branche "Bienen" genannten Studentinnen seien in Wahrheit Spioninnen.

· Chinesische Polizisten machen sich in Frankreich in flagranter Verletzung des Völkerrechtes zu schaffen, wie der Fernsehsender France-Deux vergangene Woche berichtet hat. So lotsten sie den Dissidenten Ling Huazhan in Paris bis zum Flughafen Roissy, um ihn dort in eine Maschine mit Destination Peking zu stecken. Der Chinese rettete sich im letzten Moment, indem er französische Polizeikräfte herbeirief. Die Polizei geleitete Ling sicher aus dem Flughafen. (Stefan Brändle aus Paris, 6.5.2024)