George Washington stützt sich stolz auf eine griechische Säule. Aber die Bronzestatue des ersten amerikanischen Präsidenten auf dem Campus der nach ihm benannten Universität hat ihren Charakter deutlich verändert. Um den Hals des Gründervaters ist eine schwarz-weiße Kufiya gewickelt. Über seinen Schultern hängt eine Palästinenserflagge.

Einige Hundert Menschen stehen und sitzen auf dem Rasen hinter dem Denkmal, nur wenige Straßen vom State Department im Stadtteil Foggy Bottom der US-Hauptstadt entfernt. 30 Igluzelte sind aufgebaut, die Protestler skandieren "Free Palestine". Auf ihren Plakaten steht "Divest now!" (Jetzt veräußern), "Hands off Rafah!" (Hände weg von Rafah) und "End Genocide!" (Beendet den Völkermord). Die Demonstration auf dem privaten Gelände ist nicht genehmigt. Die Stimmung ist friedlich, aber angespannt, denn die Hochschulleitung hat mit Räumung gedroht.

Auch Statuen müssen für "Free Palestine" werben.
Karl Doemens

Überall in den USA gehen derzeit propalästinensische Studierende und Aktivisten auf die Straßen – genauer gesagt: auf ihre Uni-Gelände – und protestieren gegen den Gazakrieg sowie die finanziellen Verbindungen ihrer Hochschulen mit Israel. Seit in der vergangenen Woche mehr als 100 Personen an der Columbia-Universität in New York festgenommen wurden, breitet sich die Bewegung wie ein Lauffeuer aus. Protestcamps gibt es inzwischen auch in Yale, Boston, Minnesota, Los Angeles, Ohio, Austin sowie Atlanta. Und seit Donnerstag in Washington.

Finanzverbindungen im Visier

"Wir sind es leid, dass uns niemand zuhört", sagt Nazira Olla, die mit ihrer Schwester zum University Yard an der H Street gekommen ist: "Wir können nicht einfach einem Völkermord zusehen." Die 39-jährige Amerikanerin mit afghanischen Wurzeln hat ihre Studienzeit schon hinter sich. Sie arbeitet als Sozialarbeiterin. Aber sie ist überzeugt: "Je mehr sich die Regierung abwendet, desto stärker wird der Protest. Das ist eine neue Generation. Mit der sollte man es sich nicht verderben."

Spannungen wegen Gaza-Protesten: US-Uni stellt auf Onlinebetrieb um
AFP

In Gesprächen mit Beteiligten wird immer wieder Entsetzen über das Vorgehen Israels im Gazastreifen geäußert, wo mehr als 30.000 Palästinenserinnen und Palästinenser getötet wurden. Und viel Wut über die Biden-Regierung macht sich Luft, die Israel mit Waffen unterstützt. Das konkrete Ziel der Studierenden aber lautet: "Divest" – was so viel wie "veräußern" bedeutet. Die amerikanischen Universitäten leben von privatem Stiftungskapital und haben das am Aktienmarkt oder in Beteiligungen angelegt.

Protest an der Georgetown University.
IMAGO/Allison Bailey

Vorbild sind die Boykott-Initiativen gegen das Apartheids-Südafrika. Tatsächlich trennten sich in den 1980er-Jahren 150 US-Universitäten von Unternehmen mit Südafrika-Geschäft. Das dürfte dieses Mal viel schwieriger werden, auch weil der Boykottbewegung antisemitische Tendenzen vorgeworfen werden. Tatsächlich hat es in der Vergangenheit an einigen amerikanischen Hochschulen Zwischenfälle gegeben, bei denen jüdische Studierende bedrängt oder genötigt wurden.

"Mit denen habe ich nichts zu tun"

In Washington ist davon nichts zu spüren. Sichtbar stehen zwei Studenten mit Kippa in der Menge. "Es geht um Menschlichkeit", sagt Olla. "Ich würde immer protestieren, wenn Menschen leiden, auch Juden." Ein Student der Biomedizin, der aus Angst vor Repressionen der Universitätsleitung seinen Namen nicht öffentlich machen will, differenziert: "Das Ziel und der ganz überwiegende Teil der Demonstranten sind nicht antisemitisch. Aber ich bin sicher, dass es auch üble Akteure gibt, die eine solche große Aktion zu nutzen versuchen." Mit denen habe er nichts zu tun.

Zerrissene israelische Flaggen an der Columbia University in New York.
IMAGO/Andrea Renault

Auf der anderen Seite stößt die Härte, mit der einige Universitäten gegen die Protestzeltlager vorgehen, zunehmend auf Kritik. In den USA wird die Meinungsfreiheit normalerweise weitgehender ausgelegt als zum Beispiel in Deutschland. Auch der Slogan "From the river to the sea" (Vom Fluss bis zum Meer) ist nicht verboten. Gleichwohl wurden in den vergangenen Tagen mehrere Hundert Demonstrierende festgenommen. Die Republikaner versuchen, die Lage politisch auszuschlachten: Demonstrativ besuchte ihr Kongress-Chef Mike Johnson am Mittwoch die Columbia-Universität: "Wenn die Universitäten dieses Problem nicht in den Griff bekommen, sollten sie keine Steuergelder mehr bekommen", drohte er.

In der amerikanischen Hauptstadt ließ die Leitung der George-Washington-Universität am Freitag das Gelände abriegeln. Eine Räumung schien bevorzustehen. Den Protest beenden wird das freilich kaum: Am Abend zuvor waren bereits rund 100 Studierende der benachbarten Georgetown-Universität hinzugestoßen. (Karl Doemens aus Washington, 26.4.2024)