SPÖ-Chef Andreas Babler
Wirkt zufrieden mit seinem Auftritt: SPÖ-Chef Andreas Babler nach der Rede in Wieselburg.
Reiner Riedler

Unumstritten ist Andreas Babler in den eigenen Reihen nach wie vor nicht. Anders wäre es nicht zu erklären, dass die Delegierten beim Parteirat in Wieselburg allen anderen Kandidatinnen und Kandidaten auf den ersten zehn Plätzen der roten Bundesliste für die Nationalratswahl mit mehr Stimmen bestätigten als den Bundesparteichef und Spitzenkandidaten. Manche Parteikollegen, die beim Machtkampf vor einem Jahr für den Rivalen Hans Peter Doskozil eintraten, können mit dem Traiskirchener Bürgermeister offenbar partout nichts anfangen.

Trotzdem boten sich Babler Gründe, die rot regierte Stadtgemeinde im schwarzen Niederösterreich am Samstagnachmittag zufrieden zu verlassen. Eine Welle der Euphorie, wie er sie vor, bei und unmittelbar nach seiner Wahl zum SPÖ-Chef entfachen konnte, rollte zwar nicht durch die Messehalle; zu groß ist die Ernüchterung über die chronisch mauen Umfrageergebnisse. Doch nicht jede Versicherung aus dem Mund eines Besuchers, dass im September noch ein echter Erfolg drinnen sei, klang nach pflichtschuldigem Zweckoptimismus.

Video: SPÖ-Chef Babler will "historische Weichenstellung."
APA

Schnellredner mit Selbstdisziplin

Wofür die Funktionäre im Wahlkampf "rennen" sollen, hat Babler ausführlich ausgebreitet. 24 Projekte ließ er aus jenen Diskussionen destillieren, die mehr oder minder nahestehende Fachleute auf Geheiß der SPÖ geführt haben. Bei seiner Wieselburger Ansprache zwang sich der Schnellredner zu so viel rhetorischer Selbstdisziplin, um eine Menge davon in einer Stunde unterzubringen – und sich nicht in diffusen Assoziationsketten zu verlaufen.

Manches davon war den Genossen wohlbekannt. Die "Garantie" auf einen Facharzttermin innerhalb von 14 Tagen, das tägliche warme Gratis-Mittagessen in allen Kindergärten und Schulen, die Absage an ein höheres Pensionsantrittsalter, die Kindergrundsicherung oder der 20-Milliarden-Transformationsfonds zur Umstellung der Industrie auf erneuerbare Energie finden sich schon länger im roten Repertoire. Andere Vorschläge – wie die 4000 zusätzlichen Polizisten oder das geförderte Zeitungsabo für 16- bis 30-Jährige – hat die SPÖ in den letzten Tagen ventiliert.

Auf Doskozils Spuren

Ob man die Ideen gut findet oder nicht: Über ein paar eilig für den Wahlkampf zusammengeschusterte Schlagworte geht die auf 70 Seiten argumentierte Ideensammlung unbestreitbar hinaus. Die Autoren haben sich sichtlich bemüht, greifbare Vorhaben anzubieten – etwa das "Österreich-Sparbuch" mit Mindestzinsen oder das Gratis-Öffi-Ticket für alle Kinder und Jugendlichen. Das Versprechen, dass Überweisungen und andere Aktionen auch künftig noch ohne Mehrkosten per Papier abgewickelt werden dürfen, mögen wiederum Senioren als lebensnah empfinden. "Das Recht auf ein analoges Leben hat mit Respekt für Ältere zu tun", sagt Babler.

Dieser Ansatz erinnert ausgerechnet an seinen erbittertsten Widersacher. Der burgenländische Landeshauptmann Doskozil hat sich nicht deshalb den Ruf des Machers erworben, weil er abstrakt eine Pflegereform propagiert – sondern weil er Leuchtturmprojekte wie die Anstellung pflegender Angehöriger durchgezogen hat.

Eines kommt angesichts der Bildungstradition der SPÖ allerdings erstaunlich kurz: Die Schulen spielen eher eine Nebenrolle. Die von Lehrerinnen und Lehrer monierte Überlastung, speziell mit der Integration von Zuwandererkindern, ist abgesehen von Bekenntnissen zu Gratiskindergarten und Ganztagsschule kein Thema.

Rotes Milliardenspiel

Das gilt auch für finanzielle Fragen: Eine Aufstellung, wie viel die einzelnen Projekte kosten sollen und dürfen, findet sich im Programmfolder nicht.

Doch am Tag nach dem Auftritt reichte die SPÖ Zahlen nach. Die verschiedenen Investitionen sollen demnach rund sieben bis acht Milliarden Euro pro Jahr ausmachen. Dazu kommen noch einmal fünf Milliarden Euro für die "Entlastung" der Bevölkerung: Senkung der Steuern auf Arbeit sowie temporäre Streichung der Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel, um die Preise zu dämpfen.

Zum Vergleich: In seinem "Österreich-Plan" propagiert Bundeskanzler und ÖVP-Chef Karl Nehammer Steuersenkungen für Beschäftigte und Unternehmer, die sich überschlagsmäßig im Bereich von 13,5 bis 16 Milliarden Euro pro Jahr bewegen dürften. Anders als die Kanzlerpartei sieht die SPÖ im Gegenzug aber Steuererhöhungen vor: Sieben bis acht Milliarden sollen eine Steuer auf Vermögen ab einer Million, eine Umwidmungsabgabe sowie Wiederanhebung der Körperschaftssteuer für Unternehmen aufs frühere Niveau bringen. 500 Millionen erhofft sich die SPÖ aus Einsparungen bei Subventionen so wie den Mitarbeiterstäben der einzelnen Minister. Den Rest der angenommenen Gegenfinanzierung im Ausmaß von fast 14 Milliarden sollen verschiedene Folgeeffekte bringen: Schließlich mache sich etwa die Steigerung der Beschäftigung und Kaufkraft in höheren Staatseinnahmen bezahlt.

Um sein "Mit Herz und Hirn"-Programm weiter anzupreisen, bietet sich Babler bereits diese Woche die nächste große Bühne: Am Mittwoch ist 1. Mai – und damit Feiertag der Arbeiterbewegung. (Gerald John, 29.4.2024)