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Der Mensch prägt die Erde. Leben wir im "Menschenzeitalter"? Die Antwort darauf bleibt umstritten.
Foto: Getty Images / panaramka

Kürzlich hat der Dachverband der Internationalen Union der Geowissenschaften (IUGS) den Vorschlag einer Gruppe von Wissenschafterinnen und Wissenschaftern (Anthropocene Working Group, AWG) abgelehnt, das aktuelle geologische Zeitalter in Anthropozän umzubenennen. Der Verband argumentierte, dass sich die Geologie mit der Bezeichnung in politische und soziale Fragen verstricken würde, was mit einer unparteiischen und objektiven wissenschaftlichen Untersuchung des Themas unvereinbar sei.

Wir sind der Meinung, dass die Bezeichnung Anthropozän wichtig ist: Es ist das Zeitalter, in dem der westliche Mensch zu einer dominanten geologischen Kraft wurde, welche sich nachteilig auf die Erde auswirkt. Es wurden auch andere Begriffe vorgeschlagen. Kapitalozän, was darauf hindeutet, dass die Gefahren auf das kapitalistische Produktionssystem zurückzuführen sind, wie Ernst Langthaler in einem Gastkommentar behauptet (siehe "Adieu Anthropozän – willkommen im Kapitalozän!"). Plantagenozän, was die Schrecken des westlichen Kolonialismus anerkennt. Wenn jedoch der Kapitalismus oder der Kolonialismus verantwortlich gemacht werden, ist niemand verantwortlich. Der Klimanotstand, die globale Ungleichheit, Ausbeutung, Rassismus und Femizid sind erschreckend real, und es muss etwas getan werden, um diese Missstände zu bekämpfen, wie auch immer die Fachvereinigungen abstimmen. All dies ist politisch, wie die Wissenschaft in all ihren Facetten.

Junges Geschöpf

Die jüngste Kontroverse über das Anthropozän verweist auf ein grundlegendes Narrativ über Wissenschaft und Forschung: dass sie frei von politischen Argumenten, Werten oder persönlichen Überzeugungen sind. Menschen seien nur Zuschauende der Welt, die sich vor ihren Augen, ihren Instrumenten oder ihrer Logik entfaltet, unabhängig davon, was sie denken, tun oder sehen.

Anthropos, das Wesen mit dem allwissenden Potenzial, ist ein junges Geschöpf. Es erscheint im Denken der griechischen Philosophen und in der Genesis (etwa 500–400 v. Chr.). Es wurde zu Beginn der Moderne im 15. Jahrhundert in der Philosophie und Astronomie konkretisiert und nach dem Dreißigjährigen Krieg verfestigt. Die Wissenschaft, die Manifestation der objektiven Erfahrung, diente der "Suche nach Gewissheit", wie es nach den Verwüstungen des Krieges zwischen Katholikinnen, Katholiken und Protestantinnen, Protestanten hieß. Dies war die Grundlage für viele der Verheerungen, auf die sich die verschiedenen anderen Begriffe beziehen, vom Kapitalismus bis zum Atomzeitalter.

Kritisch reflektieren

Die Elemente und Verfahren der westlichen Wissenschaft, wie sie derzeit praktiziert werden, mögen jedoch vielen – insbesondere kritischen Feministinnen und Feministen und postkolonialen Denkerinnen und Denkern – als autoritäre Politik mit anderen Mitteln erscheinen. Die Suche nach verschiedenen wissenschaftlichen Wahrheiten sollte ein demokratischer Prozess sein, an dem verschiedene Menschen (manchmal sogar Tiere und Gegenstände) beteiligt sind. So kann sichergestellt werden, dass die Erde für alle Lebensformen, die sich in den letzten Millionen Jahren entwickelt haben, einschließlich des Menschen, bewohnbar bleibt. Das bedeutet nicht, dass in der Wissenschaft alles erlaubt ist: Es gibt Spielregeln, die eingehalten werden müssen, und es sollte Raum für eine kritische Reflexion über jede Methode geben.

Vor kurzem hat das Institut für Höhere Studien eine Studie über Wissenschaftsskepsis von Bürgerinnen und Bürgern veröffentlicht. Die Autorinnen und Autoren argumentieren aber auch, dass die Wissenschaft selbst aufgerufen ist, ihre Rolle in der Gesellschaft und ihre Abhängigkeiten kritisch zu reflektieren. Sie zeigen zudem, dass es selbst unter Expertinnen und Experten sehr unterschiedliche, teilweise widersprüchliche Ansichten über die Unabhängigkeit der Wissenschaft und die Bedeutung von hinterfragender Skepsis in der Wissenschaft gibt. Dabei kann Skepsis dazu beitragen, das Wissen über mögliche alternative Wege und Mittel zur Schaffung oder Erhaltung unserer bewohnbaren Umwelt für das Gemeinwohl zu erweitern. Sie sollte freilich nur für einen guten Zweck eingesetzt werden.

Ein "gutes Anthropozän"?

Das Anthropozän ist die Periode in der Erdgeschichte, in der Anthropos, der Mensch, behauptet, die Rätsel des Universums lösen zu können, indem er lernt, die Welt zu beobachten und zu manipulieren. Außerdem hat er die Bewohnerinnen und Bewohner der Erde, mit dem Schwert oder mit Worten, davon überzeugt, dass sie dies glauben müssen. Die Wissenschaft wurde zu einer Art Religion, Skeptikerinnen und Skeptiker wurden zu Ketzerinnen und Ketzern.

Wir leben in diesem Anthropozän – ob die Geologie nun zustimmt oder nicht. Der Physiker Albert Einstein bemerkte einmal, dass man ein Problem nicht mit demselben Geist lösen kann, der es geschaffen hat. Manche glauben, dass der technische Fortschritt die Gefahren beseitigen wird und ein "gutes Anthropozän" vor uns liegt. Ein solcher Glaube basiert auf denselben Ideen, die die Gefahren überhaupt erst hervorgerufen haben.

Teil des Problems

Das Anthropozän ist der Name für das Selbst, das die Probleme geschaffen hat, mit denen wir jetzt konfrontiert sind. Als der Umweltphilosoph Timothy Morton von der Entscheidung des Geologengremiums erfuhr, bemerkte er sarkastisch: "Die vom britischen Imperialismus geschaffene Gesellschaft entscheidet für Sie, dass der britische Imperialismus und sein dämonischer amerikanischer Ableger auf der Erde keine nennenswerten Auswirkungen hatten." Wir müssen erkennen, dass es verschiedene Notfallprobleme gibt und dass die meisten unserer derzeitigen wissenschaftlichen Praktiken Teil des Problems sind. Um dies zu ändern, müssen wir auch die Art und Weise ändern, wie wir über unsere Wissenschaft denken. In diesem Sinne: Willkommen im Anthropozän. (Robert Braun, Michael Wagreich, 6.5.2024)