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Mit "Stadt aus Glas" prägte Paul Auster eine ganze Generation. Er wurde 77 Jahre alt.
REUTERS/Bob Strong

Zu der Legende vieler großer Bücher gehören die Verlage, die sie nicht haben wollten. Im Fall von Stadt aus Glas von Paul Auster gab es siebzehn Absagen, bevor dann doch jemand zugriff. Ob die Geschichte von dem einsamen Krimiautor Quinn, der in New York in der Kunst des Verschwindens scheitert, tatsächlich ein großes Buch ist, darüber kann man gern streiten. Auf jeden Fall war es ein Buch, das für eine ganze Generation zu einer prägenden Erfahrung wurde.

Von 1987 bis weit in die Neunzigerjahre gehörte das rororo-Taschenbuch der New-York-Trilogie, zu der neben Stadt aus Glas noch die ebenso schlanken Romane Schlagschatten und Hinter verschlossenen Türen gehören, zur intellektuellen Grundausstattung von Studenten-WGs und späten Flaneuren. Wer sich nicht für die theoretischen Verästelungen der Postmoderne interessierte, bekam sie von Auster bekömmlich aufbereitet. In Stadt aus Glas klingelt bei Quinn nachts das Telefon. Jemand möchte mit Paul Auster sprechen. Quinn kennt niemanden dieses Namens, lässt sich aber auf die Suggestion ein.

Meister der Metafiktion

Es kann durchaus sein, dass einige der Absagen, die Auster für das Manuskript bekam, damit zu tun hatten, dass der Text zu clever ist, zu deutlich mit seinen Signalen. Metafiktion, so wäre ein Fachbegriff, rinnt in Stadt aus Glas aus jedem Absatz. Und auch der Autor brachte das eine oder andere Klischee mit. Geboren 1947 in New Jersey als Sohn eines jüdischen Paars mit Wurzeln in Österreich, ging Auster zuerst an die Columbia University und anschließend vier Jahre nach Paris. Die lebenslange Verbundenheit mit der französischen modernen Literatur zeigte sich nicht nur in zahlreichen Texten für die New York Review of Books, sondern auch in Übersetzungen von Maurice Blanchot oder Pierre Clastres und natürlich seinen eigenen Romanen.

Schon im ersten Absatz von Stadt aus Glas fällt ein Schlüsselsatz: "nichts wirklich außer der Zufall". Auster wurde zu einem bestimmenden Autor eines Lebensgefühls, für das die Beziehung zur Welt nicht selbstverständlich, sondern geheimnisvoll und voller seltsamer Wunder war. Seinen fünften Roman nannte er 1990 direkt Die Musik des Zufalls. Da war Auster auch schon ein wenig ein Gefangener seines Images: ein Starautor, der in Brooklyn mit seiner zweiten Frau Siri Hustvedt, einer ebenfalls sehr erfolgreichen Autorin, lebte; die Tochter Sophie Auster ist Musikerin. Heute würde man sagen: eine Hipster-Existenz par excellence, aus der auch deswegen kein Entkommen war, weil Auster New York zu einer Chiffre gemacht hatte.

Leserscharen, die eigentlich bei ihm gelernt hatten, dass es keine Wirklichkeit außer in Texten gibt, wanderten auf den Spuren seiner Bücher durch New York. Währenddessen versuchte er mit weiteren Romanen wie Mann im Dunkel oder zuletzt Baumgartner den Verdacht zu entkräften, dass er letztlich nur eine Art literarischer Zauberer von Oz wäre: ein Effektemacher mit Worten. 1995 hatte er mit dem Drehbuch zu Smoke (Regie: Wayne Wang) einen höchst erfolgreichen Ausflug ins Kino, ein Medium, mit dem er bei weiteren Versuchen (Lulu on the Bridge, 1998) weniger Glück hatte. Am Dienstag ist Paul Auster im Alter von 77 Jahren an einer Lungenkrebserkrankung gestorben. (Bert Rebhandl, 1.5.2024)